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Segeln in der Welle   aus Gazette 2-99

von Jörg Nolle

Das mit dem Segeln in bewegtem Wasser ist uns Flachwasserbefahrern ein rechtes Mysterium. Weil wirs nicht gewohnt sind, müssen wir es regelrecht kopfgesteuert tun. So lange, bis es sich als Automatismus festgesetzt hat und der Kopf wieder frei wird für die 25 anderen Dinge, die das Segeln so wertvoll machen. Denn: Es gibt jede Sekunde Möglichkeiten, Fehler zu machen. Letztlich gewinnt der, der die wenigsten Fehler macht. Und, ich wage es zu behaupten: Es gibt keinen Sport, der so komplex ist. Der, alles bedacht von Wetterkunde über Taktik bis zur Segeltechnik, so anspruchsvoll ist. Deshalb das Lernen in Lektionen. Voila!

Steuern bei Wellen

Es ist sinnvoll zuerst die Wellen zu unterscheiden, ihre Höhe, ihre Gestalt.

Unter Wellen verstehe ich hier einen Abstand von Kamm zu Kamm, in den mindestens ein Fireball passt. Die längsten Ausführungen davon sind Brandungswellen, auch Roller genannt. Kabbelwasser ist das, was die Engländer 'choppy water' nennen, also eine kurze, steile See.

choppy water

Richtiges Wellensegeln wird dazu führen, dass das Boot einen Schlangenkurs über Grund fährt. Es ist eine Abfolge von Anluven und Abfallen. Anluven den Wellenkamm, also die Vorderseite, rauf. Abfallen und wieder Speed holen den Kamm runter, also auf der Wellenrückseite. Notwendig aus zwei Gründen: Erstens herrscht schon 20 Zentimeter weiter oben ein anderer, etwas stärkerer Wind. Der scheinbare Wind verändert sich dabei ebenfalls leicht. Beides erlaubt, respektive erzwingt das Anluven. Und das muss, ähnlich auch wie bei Böen, antizipativ geschehen. Der Steuermann hat ein Gefühl zu entwickeln, wie sehr er bei gegebener und sich verändernder Wellenhöhe sozusagen vorsorglich anzuluven hat. Ruhig soweit, bis der Luvfaden an der Fock abzuheben beginnt. Denn auch hier gilt es unter allen Umständen zu vermeiden, dass sich das Boot aufstellt und durch Krängung Weg nach Luv verliert. Das ist schon deshalb wichtig, weil die Welle, die allermeist von der Seite kommt, auch mit jedem Heber einen nach Lee versetzt.

Das Anluven sorgt dafür, dass sie in einem spitzeren Winkel geschnitten wird, die Abdrift verringert sich. Hart freilich für den Vorschoter, wenn er noch nicht richtig hängen kann. Er muss weit stärker ausgleichen und aktive Körperarbeit verrichten als bei glattem Wasser. Auch sollte er das Rauffahren mit einem kleinen Schritt nach hinten oder einem Zurückpendeln erleichtern. Dies gerade beim Fireball, der ständig mit leichtem Bug gefahren werden will. Nach dem Durchmarsch durch den Wellenkamm gilt es, wieder zu beschleunigen. Dies durch Abfallen. Wers kraftmässig packt, kann bei jeder Welle das Gross fieren und wieder dichtholen.
grosser Haufen Ansonsten gibt es ja noch Böen und speziell grosse Wellen im Dreier- oder Siebner-Rhythmus. Die richtig zu packen mit Ruder und Schot ist Aufgabe genug. Der Vorschoter sollte auf dem Top der Welle nach vorn pendeln, damit das Boot auf dem Scheitelpunkt schneller nach vorne unten kippt und in das Wellental abfährt.
Diese kontinuierlichen Bewegungen des Vorschoters sind freilich nur zu leisten, wenn die Wellen genügend lang sind. Und er ist noch weiter gefordert. Durch aktiven Körpereinsatz kann er dem Steuermann helfen, das Boot 'selbststeuernd' zu machen. Denn jedes Ruderlegen bremst. Also: Anluven im Wellental geschieht mit leichter Leekrängung, das Abfallen auf dem Wellenberg wird unterstützt durch Luvkrängung. Also volle Streckung!

Steuern bei Kabbelwasser

Gerade der Fireball verträgt die kurze, steile See schlecht. Zwei kurze Wellen mit zu wenig Fahrt genommen, und die Kiste steht. Der nächste Haufen kommt übers Deck. Hier also muss tiefer gehalten werden. Wohl dem, der dann bei mehr Wind einen schweren Vorschoter hat .... Wobei leichte Mannschaften, so zeigte sich in der Vergangenheit, auch weniger schnell stecken bleiben. Weniger Höhe lohnt sich indes insgesamt. Bei Mittelwind, solange der Bauch im Segel zu tragen ist, empfiehlt sich volles Profil in der Fock wie im Gross. Das heisst, Fockholepunkte nach unten, Strut auf Normalposition, die Salingverstellung womöglich nach vorne gezogen. Die Segel müssen ihre maximale Kraft entwickeln. Das Umschalten in den nächst höheren Gang, das immer auch mit einem Abflachen des Profils einhergeht, erfolgt also später. Einfach weil das Boot längst nicht den Speed entwickelt wie auf glattgebügeltem Wasser.

Der Vorschoter hat volles Gewicht zu entwickeln, steht auf den Zehenspitzen und hält beständig die maximale Körperspannung gegen den Druck der Gurte. Und trotzdem wird er Gewicht verlieren. Bei Wellengang kann er nicht so tief hängen.

Wichtig ist, dass der Steuermann ein Gefühl für Geschwindigkeit entwickelt. Wenn er gestoppt wird, muss er alles tun, um schleunigst in Fahrt zu kommen. Also Segel auf, gleichzeitig abfallen. Ein Auge schaut jetzt beständig auf das Wasser, die Fäden sind längst nicht mehr das Mass aller Dinge. Er muss besonders grosse Wellen zwei Bootslängen im voraus erkennen. Führt der Weg nur durch die Welle und nicht über sie oder an ihr vorbei, dann gilt es vorher Speed aufzunehmen. Also Gross und Fock auf und abfallen.

Brecher

Gute Wellenfahrer mit gestähltem Body öffnen kurz vor einem Brecher das Gross und pullen es im Moment des Dagegenfahrens hart an. Das Achterliek wippt dabei nach innen, quasi ein Pumpstoss durch die Welle durch. Noch ratsamer freilich ist es, einen verschärften Slalomkurs durch die Hügellandschaft zu fahren. Denn gerade das Kabbelwasser kommt nicht mit durchgehenden Wellenkämmen daher, sondern stellt sich einen halben Meter nebendran schon wieder anders dar.
Hier immer die Täler zu finden ist alle Suche wert. Übersetzt in die Materie Skifahren: Buckelpistenfahren, indem wir uns in den Tälern durchschlängeln. Das macht die Aufgabe für den Vorschoter, den Kompas zu beobachten, gewiss nicht leichter. Auch er muss das Gefühl entwickeln, was der Mittelkurs sein könnte. Und auch da helfen nur die Kilometer. Die Kilometer Er-fahrung durch die See!

Also Training. Für uns unter diesen Bedingungen nochmals schwerer, gewiss. Gar richtig anstrengend. Verdammt anstrengend. Deshalb sollten gerade weniger Erfahrene und nicht so Kräfige ihre Kilometer einteilen in Intervalle. Kein Mensch kann zwei Stunden lang gleich konzentriert und bei gleichen Kräften diese Arbeit nach Luv, nichts anderes ist es, vollbringen. Also braucht es das gemeinsame Kommando: Jetzt fahren wir die nächsten 500 Meter oder nächsten fünf Minuten unter Aufbietung aller Kräfte und des ganzen Know-hows.

Segeln ist Arbeit. Aber bald darauf stellt sich auch das Vergnügen ein.

Erstellt unter Zuhilfenahme folgender Literatur:
Laurie Smith / Ian Pinnell - 'Helming to win' und David Dellenbaugh - 'Tackling the wave'

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